Montag, 13. April 2009

Mauerstücke - Leseprobe 1




Mauerstücke - Erinnerungsgeschichten
Hrsg. Bettina Buske und Patricia Koelle
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-08-1


Leseprobe 1
René Schuhr: Die Mauer meines Vaters


Erst spät habe ich begriffen, welches Mauerstück meinem Vater und mir zugedacht war. Dabei waren das Schicksal meines Vaters und das meinige enger miteinander verknüpft, als ich es für möglich halten konnte. Meinem Vater sei Dank hat er sich auf die richtige Seite gestellt, so dass ihn die einstürzenden Trümmer nicht erschlagen haben. Stattdessen half er, sie mit einzureißen.

Im Jahr 1977 erblickte ich in der Messestadt Leipzig das Licht der Welt. Meine damals noch jungen Eltern waren gerade erst aus Ost-Berlin umgesiedelt. Beide hatten sich im Studium in der Hauptstadt der DDR kennengelernt. Mein Vater, gebürtiger Berliner, machte nach dem Studium der Ingenieurwissenschaften alsbald Karriere. Meine Mutter, gebürtige Hallenserin, arbeitete wie zu DDR-Zeiten üblich ebenfalls, nahm aber schnell die Rolle der starken Frau im Rücken meines Vaters ein. Beide erzählten immer, dass sie diese ersten unbeschwerten Tage in Leipzig mit mir besonders genossen hätten, wobei sie auch in Berlin bei meinem Großvater hätten bleiben können. Der hatte meinen Eltern schon ein Grundstück besorgt. Trotzdem richteten sie uns ein schönes Leben ein. Als Kind konnte ich nicht ahnen, welchen Preis insbesondere mein Vater dafür zahlen musste. Ich besuchte eine gute Schule, wir hatten zwei Fernsehapparate sowie ein Telefon, stets einen mit allerlei Köstlichkeiten gedeckten Tisch und was besonders schön war, wir sind viel verreist.

Was ich zu dieser Zeit nur erahnen konnte war, dass mein Vater mithalf, diesen Staat zu lenken. Heute weiß ich, auf welcher Ebene er dies tat. Er war kein inoffizieller oder offizieller Mitarbeiter des MfS, er war auch kein Militär oder gar Spion, aber so etwas wie ein Funktionär. Politisch gesehen hatte er Macht in einem für ihn längst vorgesehenen Dunstkreis, der stetig wuchs. Und in dieser Funktion schickte die DDR meinen Vater quer durch die Welt der sozialistischen Staaten. Meist durften meine Mutter und ich mit verreisen, so groß war das Vertrauen in meinen Vater. So hatte ich bereits als Kind das komplette Osteuropa besucht, ich war in Moskau, auf Cuba und in Äthiopien. Was mein Vater da machte, war mir nicht ganz klar. Auf Nachfrage erwiderte er stets, er baue Städte und sorge somit für das Wohl aller Bürger der DDR und ihrer sozialistischen Bruderstaaten. Da er nicht viel Zeit für mich hatte, unternahm meine Mutter viel mit mir.

Bei meinen Klassenkameraden war das anders. Die gingen mit ihren Vätern zur Jagd, zu Parteisitzungen oder wurden sogar von ihren Offiziers-Vätern mit in die Kaserne genommen, um den Kampf gegen den Klassenfeind aus der Nähe zu betrachten. Mein Vater wohnte noch nicht einmal meinem feierlichen Aufstieg zum Jungpionier bei. Verwundert hatte mich dies allerdings nicht, hatte ich doch bereits bemerkt, dass mein Vater und sein Vater ebenfalls nicht allzu viel Zeit miteinander verbrachten. Mein Großvater hatte nämlich auch dafür zu sorgen, dass es dem Volk der DDR gut erging, sagte er mir mal und strich mir dabei viel zu kräftig durch mein Haar. So hatten die beiden zwar regelmäßigen Kontakt, aber nur am Telefon. Im Ergebnis stand für mich fest: wenn man sich um ein ganzes Volk kümmern muss, bleibt nicht viel Zeit für den eigenen Sohn; und ich hoffte bereits damals, dass ich meinem Kind mehr Aufmerksamkeit widmen würde.

Und noch eine Sache muss ich über meinen Vater erzählen. Im Gegensatz zu allen anderen meines Umfeldes hat er die BRD nie verteufelt. Schaute ich z.B. West-Fernsehen und erwischte mein Vater mich dabei, hat er nie umgeschaltet oder mich darüber belehrt, dass ich das nicht dürfe. Das Gleiche galt für Bücher aus der BRD, die ich las. Mein Vater redete in Ermangelung der Zeit nicht viel mit mir. Tat er es doch, blieb es mir meist im Gewissen. So sagte er in solchen Situationen immer zu mir, erst wenn Verstand, Seele und Herz sich nicht widersprechen würden, hätte man sich für das Richtige entschieden. Womit wir auch schon mitten in den gesellschaftlichen und politischen Wirren des Jahres 1989 angekommen wären.

Da ich an meiner Schule sehr abgeschottet war und mein Umfeld sich auch ansonsten durch Systemtreue empfahl, verzögerte sich meine Wahrnehmung der Dinge, die da draußen auf den Straßen abliefen. Erst als die Empörung im Volk im Laufe des Jahres 1989 so laut wurde, dass niemand es überhören konnte, wurde ich aufmerksam. Nur, wen hätte ich fragen können über die Dinge, die da vorgingen? Meine Lehrer hielten die Fahne hoch und meinen Schulkameraden erging es ebenso wie mir - oder sie plapperten die allgemein ausgerufenen Durchhalteschwüre nach.

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