Sonntag, 6. September 2009

Mauerstücke - Leseprobe 5




Mauerstücke – Erinnerungsgeschichten
Hrgs. Bettina Buske und Patricia Koelle
ISBN 978-3-939937-08-1
180 Seiten
30 Farbfotos
Vorwort Walter Momper (Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses)
Geleitwort André Schmitz (Kulturstaatssekretär von Berlin)


Leseprobe
Alexander Kalinovic
Berlin am 9. November 1989



Eigentlich war es für mich als neunjähriger Junge in Westberlin ein ganz normaler Tag, dieser 9. November 1989. Bis ich abends am heimischen Fernseher mit meinen Eltern die Bilder jener Pressekonferenz sah, in der Günther Schabowski, der Sekretär des ZK der SED, mehr oder weniger willentlich die Reisefreiheit verkündete. Mein Vater verfolgte schon seit Tagen aufgeregt das Zeitgeschehen in seiner Heimatstadt, doch nun überschlugen sich die Ereignisse. Er saß in seinem Sessel vor dem Fernseher mit einem alten Kofferradio auf dem Schoß und zappte an beiden Geräten durch sämtliche Sender nach den neuesten Nachrichten. Als der Radiosender RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) um 21:30 Uhr von den ersten offenen Grenzübergängen berichtete, gab es für meinen Vater kein Halten mehr. Überstürzt zogen wir unsere Jacken an und machten uns auf den Weg.
Meine Eltern wohnten damals in der Grauenstraße in Berlin-Wedding, einige Gehminuten von der Bernauer Straße entfernt. Hier verlief der Grenzstreifen über mehrere Kilometer von der Eberswalder Straße bis zum Nordbahnhof. Wir drei gingen die ganze Bernauer Straße immer an der Mauer entlang. Es lag eine ungeheure Spannung in der Luft. Die Gartenstraße und Liesenstraße entlang liefen wir dem Grenzübergang Chausseestraße entgegen. Je näher wir dem Grenzübergang kamen, desto mehr wich die gespenstische Ruhe einer lauten Lebendigkeit. Wir staunten nicht schlecht. Die Grenzanlage spuckte unaufhörlich Trabis, Ladas und Wartburgs aus. Und zwischen den Fahrzeugen quollen, wild durcheinander, Fußgänger aus dem „Osten“ in den „Westen“, wo links und rechts der „Freiheits-Karawane“ unzählige Berliner die Neuankömmlinge überschwänglich begrüßten.
Es herrschte eine unbeschreibliche Stimmung. Die stinkenden Abgase schwängerten mit ihrem blauen Dunst die Nacht und in Verbindung mit der gelblichen Grenzbeleuchtung entstand eine einzigartige Atmosphäre. Unzählige Menschen säumten die Straße im Westen und bejubelten die Ankommenden aus der anderen Hälfte der Stadt. Jeder hoffte, dass nun eine Zeit anbrechen werde, in der Familien und Freunde wieder zueinanderfinden können. Es war ein unglaublich herzlicher Empfang, dem die Ostberliner da entgegenfuhren. Sie wurden bejubelt wie Popstars oder wie die deutsche Fußballnationalmannschaft, die als Weltmeister von einer WM zurückkommt. Man warf ihnen ganze Blumensträuße auf die Autos oder reichte auch nur eine einzelne Rose durchs Fenster. Nicht fehlen durften natürlich die Bundesdeutschen Nationalflaggen, die man schwenkte oder den Neuankömmlingen überreichte.
In das Orchester aus tosendem Jubel und dem Knattern der Zweitaktmotoren stimmten die am laufenden Band knallenden Sektkorken ein. Sektflaschen wurden durch die Reihen gegeben, als wären alle eine große Familie zu Silvester. Leute und Autos wurden mit Sekt übergossen. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und Freudentränen rannen über die Gesichter.
Mein Vater hatte sich in den Kopf gesetzt, die neuen Reisebestimmungen auf ihre Beidseitigkeit zu prüfen. So kämpften wir uns durch die Menschenmassen, bis wir an die geöffneten Schlagbäume kamen. Als wir dort mit unseren Westausweisen vor einem Grenzsoldaten standen und um Einreise baten, staunte der nicht schlecht. Ein ganzes Volk versuchte gerade die DDR zu verlassen und hier standen drei aus dem Westen und wollten einreisen? Mein Vater argumentierte mit der neuen, frisch verkündeten Reisebestimmung der DDR, Demokratie, Freiheit, Genfer Konvention und weiß der Himmel nicht was alles. Jedoch zeigte sich das „Grenzsicherheitsorgan“ der DDR unbeeindruckt und verschwand im Kontrollhäuschen. Als er wenig später wieder auftauchte, ließ er uns ohne Formalitäten oder lange Erklärung passieren. Ein kleiner Schritt für einen Neunjährigen, aber ein großer Schritt für das deutsche Volk.
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